Schwäbisches Tagblatt07. 01. 2004

Von 6 auf 50 in wenigen Sekunden

SONNENBÜHL-GENKINGEN (bz). Not macht bekanntlich erfinderisch, und einen echten Schwaben sowieso. Der Genkinger Siegfried Herrmann ist dafür das beste Beispiel. Weil sein Vater es nicht mehr alleine vom Rollstuhl auf's Sofa schaffte, entwickelte er einen Behindertenlift. Und heimste dafür prompt den Innovationspreis der Kreissparkasse ein.

 

Jahrezehnte lang war es in der Genkinger Familie Herrmann kein Thema, dass der Vater, im Alter von 31 Jahren über Nacht an Kinderlähmung erkrankt, auf den Rollstuhl angewiesen war. Aber irgendwann ließ die Kraft in den Armen nach, das Umsteigen vom Sofa in den Rollstuhl und zurück wurde immer beschwerlicher und ohne die Ehefrau gar nicht mehr zu bewältigen.

 

Sein Sohn Siegfried Herrmann, gelernter Mechaniker und heute mit seiner Firma Bemotec GmbH als selbständiger Unternehmensberater tätig, fing an, nach einer Lösung zu recherchieren, die das Leben des Vaters erleichtern sollte.

 

Er fragte in Sanitätshäusern, fand Fernsehsessel zum Anheben und Behindertenbetten. Alles ungeeignet. Er versuchte es mit vier Holzpflöcken, die er unter das Sofa schob, um es auf die Höhe des Rollstuhls zu heben. "Aber das sah aus wie ein Jägersitz im Wohnzimmer", erinnert sich der 49-Jährige Tüftler. Das Thema ließ ihm keine Ruhe, und schließlich setzte er sich hin und zeichnete. Innerhalb einer Nacht entstanden dann, zusammen mit einem befreundeten Konstrukteur, die Pläne für die flachste Hubeinheit der Welt. "Dann habe ich alles auf eine Karte gesetzt", berichtet Herrmann, "und den Prototyp außer Haus bauen lassen".

 

Heute, zwei Jahre später, ist die Idee für den Behindertenlift, der den Namen "Beli" trägt, bereits zum Patent angemeldet. Mit einer Bauhöhe von nur sechs Zentimetern passt der knapp 100 Kilo schwere Lift unter alle gängigen Sitzmöbel. Per Funksteuerung kann der Behinderte sein Sofa um bis zu 50 Zentimeter auf Rollstuhlhöhe anheben und ohne großen Kraftaufwand, und vor allem ohne die Hilfe anderer, umsteigen.

 

Auch unter ganz normale Betten lässt sich der strombetriebene Lift montieren. "Ehebetten müssen nicht mehr zersägt werden", erklärt Herrmann stolz. Außerdem kann "Beli" als Rampe umfunktioniert werden, mit der der Rollstuhlfahrer außer Haus bis zu drei Treppenstufen überwinden kann.

 

Bislang stieß der Genkinger mit seiner Erfindung auf große Begeisterung. Nicht nur bei seinem Vater, der sich endlich wieder allein im Haus bewegen kann. Auch die Jury der Stiftung der Kreissparkasse Reutlingen zur Förderung innovativer Leistungen im Handwerk, die jedes Jahr den Innovationspreis verleiht, fand den Behindertenlift ausgezeichnet und hob ihn im vergangenen Jahr auf den dritten Platz (wir berichteten).

 

Eine Feuerprobe war die Markteinführung von "Beli" auf der Internationalen Fachmesse Rehacare in Düsseldorf im Oktober 2003. "Wir hatten 1300 Prospekte gedruckt und waren sicher, dass die mindestens zwei Jahre reichen würden. Nach drei Tagen waren keine mehr da", erzählt Herrmann von seinen Erfahrungen. "Es war wahnsinnig, aber auch tief erschütternd".

 

Der Mann, der sonst Steckdosen, Lüftungen und Rollwagen für Schiebetüren baut und Unternehmen berät, war von dem Ansturm überwältigt: "Die Tage auf der Messe waren prägend. Man bekommt eine ganz andere Einstellung zum Leben." Und irgendwie hat ihn diese Erfahrung auch bestätigt.

 

Er erzählt von der 46-jährigen Frau, die seit einem Zeckenbiss bewegungsunfähig ist und einmal pro Woche ungeduldig in Genkingen anruft. Und von dem jungen behinderten Mann, der den Lift benutzen will, um nach dem verordneten Liegen auf dem Boden wieder auf Rollstuhlhöhe zu kommen.

 

Aber auch Pflegekräfte, die sich täglich zu den Bedürftigen herunter beugen, sie drehen und wenden oder vom Bett in den Rollstuhl heben, hätten Interesse an "Beli" gezeigt, berichtet Herrmann. "Die waren froh, dass endlich mal jemand an deren Gesundheit denkt".

 

Weil er glaubt, dass auch die Krankenkassen davon profitieren würden, wenn Behinderte nicht mehr vom Bett in den Rollstuhl müssen, von dort in's Auto, da wieder raus und rein in die Praxis des Physiotherapeuten, sondern von dem direkt auf dem hebbaren Sofa zu Hause behandelt werden können, ist Herrmann auch überzeugt, dass seine Erfindung die Hilfsmittelnummer bekommt. Dann gäbe es "Beli" auf Rezept.

 

Ab Februar wird der Behindertenlift, sobald er vom TÜV geprüft ist, in Serie hergestellt und auf der Altenpflegemesse im in Hannover präsentiert. Für rund 3600 Euro soll das Gerät dann zu haben sein. Erstmal aber werden nur 120 Stück produziert. "Wir planen einfach sachte", erklärt der Erfinder." Eben schwäbisch sparsam".